A. Guttmann: The Origins of International Counterterrorism

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Titel
The Origins of International Counterterrorism. Switzerland at the Forefront of Crisis Negotiations. Multilateral Diplomacy, and Intelligence Cooperation (1969–1977)


Autor(en)
Guttmann, Aviva
Erschienen
Leiden 2018: Brill Academic Publishers
Anzahl Seiten
286 S.
von
Philip Rosin, Abteilung Zeitgeschichte, Konrad-Adenauer-Stiftung

In den Jahren 1969/70 musste die Schweiz eine für seine Bürger und Politiker einschneidende Erfahrung machen: Ihre traditionelle Neutralität hatte die Eidgenossenschaft zwar – zumindest in der Selbstwahrnehmung – vor der Involvierung in zwei Weltkriege bewahrt. Doch mit der «Privatisierung» der Gewalt durch das Aufkommen des internationalen Terrorismus seit Ende der 1960er Jahre wurde dieser bewährte Schutzmantel vor den Untiefen des Weltgeschehens brüchig und vermochte die gewohnte Sicherheit nicht mehr zu garantieren. Wie unvorbereitet die offizielle Schweiz war, wie sie aber auch bald dazu in der Lage war, sowohl auf offizieller als auch auf inoffizieller diplomatischer Ebene effektiv zu reagieren, wird in der hier anzuzeigenden Untersuchung von Aviva Guttmann präzise analysiert und präsentiert.

Zu Beginn geht sie in Anlehnung an die Untersuchungsergebnisse der interdisziplinären Kommission des EDA noch einmal kurz auf das «highly problematic book» (S. 27, FN. 1) des Journalisten Marcel Gyr (Schweizer Terrorjahre) und dessen haltlose Behauptung eines angeblichen Geheimabkommens zwischen dem für Aussenpolitik zuständigen Bundesrat Pierre Graber und der PLO ein, bevor sie zu ihrem eigentlichen Thema kommt: Der Anschlag auf die El Al-Maschine am Flughafen Zürich-Kloten im Februar 1969, die Entführung der Swissair-Maschine 100 auf dem Weg von Zürich nach New York nach Zarqa in Jordanien im September 1970 und die Entführung des Schweizer Botschafters in Brasilien, Giovanni Enrico Bucher, im Dezember 1970 führten dazu, dass sich der Bundesrat von seiner zunächst passiven, rein reaktiven Haltung abwandte und eine aktive und auf internationale Kooperation ausgerichtete Anti-Terror-Politik entwickelte.

Im ersten Teil der Untersuchung werden zunächst die terroristischen Ereignisse selbst und das politisch-diplomatische Agieren der Schweiz während der Krisen dargestellt, im zweiten Teil sodann die diplomatischen Gegenmassnahmen auf internationaler Ebene analysiert. Im dritten Teil schliesslich wird die klandestine Terrorismuskooperation im Rahmen des «Club de Berne» erläutert. Besonders kritisch geht Guttmann mit der Reaktion des Bundesrates auf die Bucher-Entführung ins Gericht, denn «for realpolitik considerations the Swiss authorities threw out fundamental Swiss principles such as neutrality and, in this case, also freedom of speech. This terrorist incident, which placed the Swiss government at the Brazilian government’s mercy, has highlighted a rather dark side of Swiss foreign policy» (S. 92 f.).

Wie im zweiten und dritten Teil deutlich wird, zeigt sich die von der Forschung generell attestierte Öffnung und Multilateralisierung der schweizerischen Aussenpolitik in den 1970er Jahren auch im damals neuen diplomatischen Themenfeld der internationalen Terrorismusbekämpfung. Foren der Zusammenarbeit waren hier die Internationale Zivilluftfahrtorganisation, der Europarat und die Vereinten Nationen. Innerhalb des Eidgenössischen Politischen Departements (EPD) wurde auf Veranlassung von Generalsekretär Ernesto Thalmann zudem eine Arbeitsgruppe zur Terrorismusbekämpfung eingerichtet. Diesen Vorgang ordnet Guttmann leider nicht näher in den Gesamtkontext der Neuausrichtung der schweizerischen Aussenpolitik ein, war dieses Vorgehen doch in der ersten Hälfte der 1970er Jahre im EPD gängige Praxis. Es existierten gleichfalls Studiengruppen zur Ausrichtung der schweizerischen Aussenpolitik generell sowie themenbezogene Arbeitsgruppen, etwa beim ebenfalls neuen Themenfeld der multilateralen Diplomatie im Rahmen der entstehenden KSZE. Die geschaffenen Studien- und Arbeitsgruppen, das wird auch in Guttmanns Beschreibung derjenigen zur Terrorismusbekämpfung deutlich, sollten nicht etwa ein Thema in den Hintergrund drängen, sondern ganz im Gegenteil zu einer Kompetenzaneignung und zur Möglichkeit der aktiven Mitwirkung der Schweiz auf internationaler Ebene führen. Die Arbeitsgruppe, so Gutmann, «was formally only assigned to give advice, [but] by becoming the main in-house experts on counterterrorism, it de facto considerably shaped and determined Swiss counterterrorism policy» (S. 109). Die in ihrer Gesamtheit noch nicht erforschte «Gremien-Bildung» war somit ein wichtiges Mittel der Aktivierung und Dynamisierung der schweizerischen Aussenpolitik.

Markierte die Verabschiedung der Konvention zur Bekämpfung des Terrorismus des Europarates Ende 1976 den Höhepunkt des offiziellen diplomatischen Engagements der Schweiz, so gab es darüber hinaus noch eine weitere, inoffizielle Ebene in Form des bis heute existierenden «Club de Berne» oder «Berner Club», der 1969 von neun westeuropäischen Staaten geschaffen wurde. Wie der Name nahelegt, war auch die Schweiz vertreten – und die Gründung wurde in der Bundesstadt vollzogen. Es ging dabei um einen regelmässigen Austausch zur Antiterrorismusbekämpfung auf der Ebene der Chefs nationaler Sicherheitsbehörden. Zusätzliche Bedeutung gewann der «Club» durch die baldige Mitwirkung von Vertretern der USA und Israels. Die Schweiz profitierte von ihrer Präsenz in diesem Gremium, allerdings war diese einseitige Ausrichtung mit Blick auf den Ost-West- sowie den Nahostkonflikt nicht mit ihrer Neutralität und ihren Werten vereinbar, urteilt die Verfasserin, und sie kommt insgesamt zu dem Schluss «that security was placed above everything» (S. 249). Auch wenn man aus realpolitischer Sicht diese negative Bewertung nicht unbedingt teilen muss, so handelt es sich bei Guttmanns Studie zweifellos um einen wichtigen Beitrag zur weiteren Erforschung der nach aussen hin eher vorsichtig und hinter den Kulissen aktiver betriebenen Politik der Dynamisierung der Berner Diplomatie in den 1970er Jahren.

Zitierweise:
Rosin, Philip: Rezension zu: Guttmann, Aviva: The Origins of International Counterterrorism. Switzerland at the Forefront of Crisis Negotiations. Multilateral Diplomacy, and Intelligence Cooperation (1969–1977), Leiden / Boston 2018. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 72 (2), 2022, S. 329-330. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00108>.

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